Gunnar Drucklieb • 4. Dezember 2025

Die Macht, die keine ist – und die Macht, die in dir wohnt

Es gibt Tage, an denen das Leben wie ein altes nordisches Lied klingt – mal rau, mal sanft, getragen von Winden, die wir nicht lenken können. Der Weg des spirituellen Kriegers beginnt nicht mit dem Schwert, sondern mit der stillen Kunst, zu erkennen, wo Macht endet und wo die wahre Macht überhaupt erst beginnt. Es ist ein uraltes Wissen: Die Welt entfaltet sich, ohne uns zu fragen, und doch trägt jeder Schritt, den wir tun, die Kraft einer Entscheidung, die nur uns gehört. In den Hallen des Alltags wird dieses Wissen oft geprüft.


Du betrittst einen Laden. Ein Mensch hinter der Theke schaut müde, gereizt, abwesend. Vielleicht ist die Nacht schwer gewesen, vielleicht die letzten Monate. Vielleicht tragen sie etwas in sich, das tief und dunkel ist – Schatten, von denen sie selbst nichts wissen. Über diese Stimmung hast du keine Macht. Und der spirituelle Krieger weiß: Man kann den Wind nicht fesseln. Man kann den Regen nicht bitten, in eine andere Richtung zu fallen.


Die Stimmung eines anderen Menschen gehört zu jener großen Sphäre, auf die wir keinen Zugriff haben. Sie ist wie Wetter – sie kommt, sie geht, sie streicht an uns vorbei, ohne dass wir sie beeinflussen können. Was jedoch in unserer Macht liegt, ist der eigene Schritt, der eigene Atem, die eigene Haltung. Es liegt in unserer Macht, ob unsere Worte Öl ins Feuer oder Wasser in den Durst gießen. Es liegt in unserer Macht, ob wir uns vom Sturm eines anderen anstecken lassen – oder ob wir innerlich still bleiben wie ein See, der die Sterne spiegelt. Genau hier beginnt jene innere Schulung, die ich in meinem Buch Fröhlich durch das Leben scheitern – Die Kunst des spirituellen Kriegers beschrieben habe: die Fähigkeit, nicht auf jeden Reiz zu reagieren, nicht jeden Impuls zu einem Kampf zu machen, sondern nur jene Kämpfe zu führen, die aus dem Herzen kommen.


Ein anderer Mensch kann dir schlechte Laune hinhalten wie ein Becher, aber du entscheidest, ob du daraus trinkst. Das ist die wahre Macht – nicht über den anderen, sondern über dich selbst. Wir verschwenden so viel Kraft, wenn wir versuchen, das Unbeeinflussbare zu beeinflussen. Wir regen uns über Wolken auf, die nicht für uns ziehen. Wir kämpfen gegen Echoes, die nicht uns gehören. Ärger wird zu einem Feuer, das Brennholz frisst, das wir eigentlich für unsere eigenen Wege bräuchten: für unsere Taten, unsere Träume, unsere Kreativität, unsere Heilung.


Der spirituelle Krieger unterscheidet klar zwischen den zwei Räumen des Lebens. Der erste Raum gehört ihm: seine Entscheidungen, seine Handlungen, seine Reaktionen, seine Worte, sein Verhalten. Der zweite Raum gehört der Welt: die Launen anderer Menschen, die äußeren Umstände, die Vergangenheit, der Zufall, das, was ihn trifft wie ein plötzlicher Wintereinbruch. Beide Räume verwechseln heißt, das eigene Leben zu verlieren. Den eigenen Raum zu formen heißt, frei zu werden.


Es ist ein leises, aber machtvolles Erwachen, wenn man erkennt: Nicht alles ist mein Kampf. Nicht jede Energie ist mein Auftrag. Nicht jede Welle gilt es zu reiten. Manche Wellen dürfen einfach vorbeiziehen. Dann entsteht jene Art von Stärke, die niemand sieht, die aber jeder spürt.


Die Art Stärke, die im Herzen wohnt, nicht in der Faust.


Die Art Stärke, die nicht kontrollieren will, sondern präsent bleibt.


Genau darum geht es im Weg des spirituellen Kriegers, wie ich ihn in meinem Buch beschrieben habe: um die Freiheit, nicht auf jeden Sturm zu antworten; um die Klarheit, das eigene Licht nicht an fremde Schatten zu verlieren; um die Fähigkeit, den eigenen Wirkungskreis zu ehren. Die Frage, die sich in jeder Situation stellt, ist schlicht: Was liegt wirklich in meiner Macht? Ist die Antwort „nichts“, dann ist Loslassen ein Akt von Weisheit. Ist die Antwort „wenig“, dann ist Achtsamkeit geboten. Ist die Antwort „viel“, dann ist Mut gefragt.


Der spirituelle Krieger ist kein Kämpfer gegen die Welt. Er ist ein Gestalter seines eigenen Inneren. Er weiß: Macht bedeutet nicht, alles zu ändern. Macht bedeutet, die eigene Energie dort einzusetzen, wo sie die Welt berührt. Macht bedeutet, die Verantwortung für den eigenen Teil des Weges zu übernehmen – und den Rest der Erde zu überlassen.


Und so wächst in ihm eine Freiheit, die nicht laut ist, aber tief. Eine Freiheit, die nicht glänzt, aber leuchtet. Eine Freiheit, die niemand nimmt, weil niemand sie geben kann. Sie entsteht in jenen stillen Momenten, in denen ein Mensch entscheidet:


Ich wähle meinen Weg.

 

Ich wähle meine Haltung.


 Ich wähle meine Macht.


Und genau darin liegt der Anfang eines Lebens, das klarer, leichter und wahrhaftiger wird – Schritt für Schritt, Atemzug für Atemzug, in stillem Einklang mit dem, was war, mit dem, was ist, und mit dem, was werden darf.



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