gdrucklieb • 9. April 2025

Die Sehnsucht nach Echtheit – Warum wir uns nach Wahrhaftigkeit sehnen, sie aber oft fürchten


Es gibt eine tiefe, leise Sehnsucht in vielen Menschen, die sich kaum in Worte fassen lässt. Sie liegt unter der Oberfläche, in stillen Momenten spürbar – beim Blick in den Himmel, im Innehalten zwischen zwei Atemzügen oder wenn ein ehrliches Wort uns mitten ins Herz trifft. Diese Sehnsucht ist die nach Echtheit.


Wir wünschen uns Begegnungen, in denen wir nicht spielen oder darstellen müssen. Wir wollen Menschen spüren, die sich selbst treu sind. Wir wollen Worte hören, die nicht gefallen sollen, sondern die wirklich etwas sagen. Und wir möchten selbst so sein: aufrichtig, mutig, verbunden mit dem, was uns im Innersten ausmacht.

Doch wie oft weichen wir dieser Echtheit aus?


Wie oft ziehen wir uns Masken über, rollen durch den Tag mit einem Lächeln, das nicht ganz echt ist, sagen Dinge, die wir so nicht fühlen, oder schweigen, wo unser Herz eigentlich sprechen will? Warum fällt es uns oft so schwer, das zu zeigen, was in uns lebendig ist – verletzlich, roh, ungeschminkt?


Vielleicht liegt es daran, dass Echtheit keine Komfortzone kennt. Sie macht uns durchsichtig. Wer echt ist, macht sich sichtbar – und damit auch angreifbar. In einer Welt, die so viel Wert auf Perfektion, Effizienz und Selbstoptimierung legt, kann Echtheit wirken wie ein leiser Protest. Eine stille Rebellion gegen das Immer-weiter-Funktionieren.


Doch genau darin liegt ihre Kraft.

Echtheit ist nicht laut. Sie ist nicht zwingend spektakulär. Aber sie ist spürbar. Ein Mensch, der echt ist, bringt etwas in den Raum, das uns tief berührt – weil wir es so selten erleben. Es ist, als würde jemand mit bloßen Füßen auf dem Boden stehen, während wir alle auf Zehenspitzen durch die Welt huschen. Da ist eine Ruhe, eine Klarheit, eine Würde.


Echtheit entsteht, wenn wir uns erlauben, mit allem da zu sein: mit unseren Ängsten, unserem Mut, unserem Unwissen, unserer Kraft. Wenn wir nicht mehr versuchen, ein Bild von uns zu erfüllen, sondern einfach das sind, was wir in diesem Moment sind.

Aber Echtheit ist nichts, was man macht – sie ist etwas, das geschieht, wenn wir aufhören, uns zu verstecken.


In Beziehungen ist Echtheit oft das größte Geschenk – und gleichzeitig die größte Herausforderung. Denn sie fordert uns heraus, unser Inneres nach außen zu bringen. Nicht im Sinne von Schonungslosigkeit, sondern als gelebte Wahrhaftigkeit. Sie bedeutet nicht, alles ungefiltert rauszuposaunen, sondern stimmig zu sein – mit dem, was ich denke, fühle, sage und tue.


Philosophen wie Søren Kierkegaard oder Martin Buber haben diese Form der Echtheit als existenzielle Wahrheit beschrieben: Als eine Weise, sich selbst zu begegnen – und dadurch der Welt in einer Tiefe zu begegnen, die mehr ist als Oberfläche. In der Spiritualität wiederum wird Echtheit oft mit „Herzverbundenheit“ beschrieben. Und in der Psychologie spricht man von Authentizität, einem Zustand, in dem die inneren und äußeren Anteile eines Menschen übereinstimmen.


Und so begegnet uns Echtheit überall dort, wo Menschen aufhören, eine Rolle zu spielen – und beginnen, einfach zu sein. Es ist eine Rückkehr. Eine Erinnerung.

Und vielleicht ist sie genau das, wonach wir uns im Tiefsten sehnen: uns selbst – in einer Welt, die uns oft davon ablenkt.

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