Von Meinungen und Wahrheiten – ein eigener stiller Tanz mit der Wirklichkeit
Wir leben in einer Zeit, in der Meinungen lauter geworden sind als Fakten. In der das, was jemand fühlt, oft mehr zählt als das, was sich beobachten, messen oder belegen lässt. Und obwohl wir in einer Welt voller Information leben, sind wir selten wirklich bereit, uns mit Wahrheit zu begegnen. Denn Wahrheit – das merken wir immer dann, wenn sie nicht in unser Bild passt – kann unbequem sein. Sie kratzt an den Fassaden, rüttelt an unseren Selbstgewissheiten, sie stellt Fragen, wo wir gerne Antworten hätten.
Fakten sind schlicht. Sie brauchen kein Applaus, kein Publikum. Sie existieren, auch wenn niemand an sie glaubt. Doch gerade diese Nüchternheit macht sie für viele so schwer zugänglich. Sie wirken kalt, manchmal unbarmherzig – vor allem dann, wenn sie gegen unsere innersten Überzeugungen stehen. Denn eine Meinung, so sehr sie auch im Widerspruch zur Wirklichkeit stehen mag, wärmt uns. Sie gehört uns. Sie wurde geboren aus Erinnerungen, Erziehung, Prägung – sie ist ein Teil unseres inneren Hauses. Und wer stellt schon gerne die eigene Einrichtung in Frage?
Aus persönlicher Sicht ist das Festhalten an Meinungen oft ein Schutzmechanismus. Unser Gehirn liebt Muster, liebt Kohärenz. Wenn etwas nicht passt, nicht einrastet in unsere Weltanschauung, erzeugt es kognitive Dissonanz – ein Spannungszustand, den unser System vermeiden möchte. Und so suchen wir nach Bestätigung, nicht nach Wahrheit. Wir umgeben uns mit Gleichgesinnten, lesen, was wir ohnehin glauben, und ignorieren, was uns verunsichern könnte.
Doch das ist nur die Oberfläche. Tiefer betrachtet steckt hinter vielen Meinungen nicht nur ein Weltbild, sondern oft auch eine Wunde. Eine Angst. Ein unerfülltes Bedürfnis. Der Glaube, dass die Welt sicherer, erklärbarer oder gerechter ist, wenn sie unserer inneren Erzählung folgt. Und so halten wir fest – nicht aus Ignoranz, sondern aus Sehnsucht.
Schon Platon sprach vom Schatten an der Höhlenwand – Bilder, die wir für Wirklichkeit halten, weil wir nie das Licht direkt gesehen haben. Die Sonne, die Wahrheit, blendet zunächst. Sie tut weh. Sie entlarvt. Doch nur wer den Mut hat, sich ihr zu stellen, wird frei.
Und spirituell?
Spirituell ist Wahrheit kein Konzept, keine absolute Größe. Sie ist eine Haltung. Ein Weg. Wer sich auf eine spirituelle Reise begibt – ob schamanisch, mystisch oder kontemplativ – begegnet irgendwann der Frage: Was in mir ist wirklich? Und: Bin ich bereit, mich selbst zu hinterfragen, auch wenn es weh tut?
Der spirituelle Krieger, wie ich ihn verstehe, ist jemand, der bereit ist, sich dieser Wahrheit zu stellen. Der erkennt, dass nicht jede Meinung ein Feind ist – aber auch nicht jede Meinung ein Freund. Er lauscht. In sich, in andere, in die Welt. Und er fragt sich: Habe ich diesen Gedanken gewählt – oder hat er mich gewählt?
Denn viele Meinungen sind übernommen. Von Eltern, Lehrern, Systemen. Sie sind Erinnerungen an alte Kämpfe, die wir nie selbst geführt haben, an Ängste, die nicht unsere eigenen sind. Und die Wahrheit – leise, geduldig – wartet darauf, dass wir sie entdecken. Nicht als Dogma. Sondern als Essenz. Als leisen Klang, der unter dem Lärm unserer Gedanken liegt.
Es geht nicht darum, keine Meinung mehr zu haben. Meinungen sind wichtig. Sie sind Ausdruck unseres Selbst. Aber es geht darum, den Unterschied zu erkennen zwischen dem, was ist, und dem, was wir möchten, dass es ist.
Denn genau dort beginnt Freiheit.
Wenn ich aufhöre, Recht haben zu müssen.
Wenn ich beginne, zu fragen, anstatt zu behaupten.
Wenn ich in der Lage bin, eine Meinung zu halten – und sie trotzdem loszulassen, wenn das Leben mich eines Besseren belehrt.
Wahrheit ist nicht laut. Sie ist nicht überheblich. Sie klopft an wie ein sanfter Windstoß, wie ein Blick in den Spiegel, wenn wir gerade nicht hinschauen wollten. Sie will nichts beweisen. Sie will einfach nur gesehen werden.
Und vielleicht, ganz vielleicht, beginnt Wahrheit dort, wo ich bereit bin zu sagen:
„Ich weiß es nicht – aber ich bin offen.“
Das ist der Anfang. Der erste Schritt. Der Raum, in dem sich Meinungen verwandeln und die Welt plötzlich heller wird. Nicht, weil alles klar ist – sondern weil wir aufgehört haben, sie mit unseren Ängsten zu verstellen.