gdrucklieb • 1. Mai 2025

Frieden


Es gibt Worte, die sind schwerelos und doch von unfassbarem Gewicht. Frieden ist eines davon. Es schwebt durch die Räume politischer Konferenzen, erklingt in Gebeten, in Liedern, in Poesie – und doch ist es selten wirklich da. Wir sprechen von Weltfrieden, von Waffenstillständen und diplomatischen Lösungen, als wäre Frieden ein Vertrag, der unterschrieben werden kann. Aber Frieden beginnt nicht mit Unterschriften, sondern mit dem, was in einem Menschen geschieht, wenn er die Waffen gegen sich selbst niederlegt.


Die Stille im Sturm – Innerer Frieden

Innerer Frieden ist kein Zustand, den man „erreichen“ kann wie das Ende eines Wanderweges. Er ist keine Trophäe für gute Meditation oder seelische Disziplin. Vielmehr ist innerer Frieden ein Prozess, ein sich immer wieder neu justierendes Gleichgewicht zwischen Chaos und Ordnung, zwischen Akzeptanz und Veränderung.

Psychologisch betrachtet ist innerer Frieden der Zustand, in dem das autonome Nervensystem nicht im ständigen Alarmmodus feuert. Der Sympathikus darf ruhen, der Parasympathikus darf arbeiten. Unser Atem wird ruhiger, der Körper durchlässiger, das Herz empfänglicher. Doch es braucht mehr als Biofeedback und Atemübungen, um dorthin zu gelangen. Es braucht die Bereitschaft, mit sich selbst zu sitzen – nicht um sich zu optimieren, sondern um sich wirklich zu begegnen.

Wir kämpfen oft gegen unsere Gefühle. Gegen Wut, Trauer, Scham, Einsamkeit. Wir übertönen sie mit Arbeit, Beziehungen, Lärm. Doch der Friede, der uns erlösen könnte, beginnt dort, wo wir aufhören zu kämpfen. Wo wir die Angst in den Arm nehmen, anstatt sie wegzuschieben. Wo wir sagen: Auch das bin ich. Auch das darf da sein. Frieden ist, wenn wir aufhören, zu fliehen – und stattdessen bleiben.


Der Frieden im Zwischenraum

Frieden in Beziehungen beginnt nicht mit Harmonie, sondern mit Ehrlichkeit. Wie oft vermeiden wir den echten Dialog, aus Angst vor Konflikt? Und wie oft wird das Schweigen, das wir als „Frieden“ deklarieren, zum Nährboden für Groll?

Wahrer zwischenmenschlicher Friede wächst aus der Fähigkeit, Unterschiede stehen zu lassen, ohne den Wert des anderen zu negieren. Es bedeutet nicht, dass wir alles gutheißen müssen. Es bedeutet, dass wir zuhören, ohne sofort zu antworten. Dass wir wahrnehmen, ohne sofort zu bewerten.

Psychologisch gesehen liegt hier ein tiefer Mechanismus zugrunde: unser Bedürfnis nach Sicherheit. Der Mensch ist ein zutiefst soziales Wesen. Wird dieses Sicherheitsgefühl bedroht – durch Ablehnung, Kritik oder Missverständnis – geht unser inneres Alarmsystem an. Wir greifen an, ziehen uns zurück oder passen uns übermäßig an. Doch echter Friede braucht weder Angriff noch Unterwerfung, sondern den Mut zur Präsenz.

Frieden ist nicht, wenn alle gleich denken, sondern wenn wir Unterschiede tragen können, ohne daran zu zerbrechen.


Weltfrieden als kollektive Spiegelung

Und dann ist da noch der große Frieden. Der Weltfrieden. Ein Wort, das so oft verwendet wurde, dass es fast kitschig klingt – und doch eine der größten Visionen unserer Zeit bleibt. Frieden zwischen Völkern, Religionen, Kulturen. Und doch: Wie kann Frieden in der Welt entstehen, wenn wir in uns selbst und in unseren Familien im Krieg stehen?

Die kollektive Psyche der Menschheit ist ein Spiegel der individuellen Psychen. Wenn Menschen mit sich selbst im Unfrieden leben – voller Projektionen, innerer Zerrissenheit, ungelöster Traumata – dann wird dieser Unfrieden hinausgetragen in die Welt. Er wird zu politischen Konflikten, zu ideologischer Verhärtung, zu Feindbildern, zu Kriegen.

Doch was wäre, wenn kollektive Heilung nicht mit Resolutionen beginnt, sondern mit innerer Wandlung? Wenn jede friedliche Handlung – ein aufrichtiges Gespräch, ein Nein ohne Aggression, ein Ja mit Integrität – ein Mosaikstein wäre in einem globalen Friedensbild?

Philosophisch betrachtet ist Frieden kein Zustand der Abwesenheit von Gewalt. Frieden ist die Anwesenheit von Bewusstsein. Er ist eine Haltung der Verbundenheit – mit sich, mit der Welt, mit allem Lebendigen.


Der Krieger und der Frieden – Ein innerer Widerspruch?

Oft scheint der Ruf nach Frieden im Widerspruch zu stehen zum Bild des Kriegers. Doch der wahre Krieger – und ich spreche hier von der spirituellen Archetyp*in – kämpft nicht gegen andere. Er kämpft für Bewusstsein. Für Wahrheit. Für Integrität. Der wahre Krieger ist fähig, das Schwert niederzulegen, weil er weiß, wann der Kampf nicht mehr heilsam ist.

Es braucht Krieger*innen des Lichts, um den Frieden zu hüten. Menschen, die nicht weglaufen vor dem Schmerz dieser Welt. Die die Dunkelheit durchqueren, um das Licht zu tragen. Die Frieden nicht als naive Floskel, sondern als tägliche Praxis leben – in Worten, im Blick, im Handeln. Frieden ist eine tägliche Entscheidung. Immer wieder neu.


Der Preis des Friedens

Frieden hat seinen Preis. Der Weg zum Frieden führt durch unbequeme Räume: durch Schuld und Scham, durch alte Wunden und alte Muster. Frieden verlangt, dass wir vergeben – auch wenn es wehtut. Dass wir Verantwortung übernehmen – auch wenn es leichter wäre, zu klagen. Dass wir zuhören – auch wenn wir uns im Recht fühlen.

Frieden ist nicht bequem. Aber er ist frei.

Er befreit uns von der Last, immer Recht haben zu müssen. Von der Last, den Schmerz anderer zu tragen. Er gibt uns den Mut, Mensch zu sein – in all unserer Widersprüchlichkeit, mit all unserer Zerbrechlichkeit, mit all unserer Liebe. Frieden ist kein Ziel. Frieden ist ein Weg. Ein feiner, stiller Weg, den man nicht laut beschreitet. Ein Weg, der durch uns hindurchführt, damit er durch die Welt gehen kann.




Ein Gebet für den Frieden

Möge Frieden in unseren Herzen wohnen.
Mögen wir den Mut haben, unsere inneren Kriege zu beenden.
Mögen unsere Worte Brücken bauen statt Mauern.
Mögen wir lernen, einander zu sehen – jenseits von Angst, jenseits von Macht.
Mögen wir den Frieden nicht suchen wie ein fernes Ziel,
sondern ihn weben – aus dem Stoff unserer täglichen Entscheidungen.



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